Desaster Kopenhagen

Kant als Klimaschützer?

15 Aug 2010

‹Disaster Management›, Neudeutsch für die professionelle Bewältigung von Katastrophen und deren Folgen, wird ironischerweise auch als Studiengang an der Universität Kopenhagen angeboten. Leider wird uns Kopenhagen mit der gescheiterten Klimakonferenz 2009 als genau das im Gedächtnis bleiben, was sie war, nämlich als Katastrophe. Vielleicht wäre dies vermeidbar gewesen, wenn Diplomaten, Unterhändler und Staatschefs diesen Studiengang in ihren Jugendjahren absolviert hätten. Sie wären wahrscheinlich spätestens dort mit einem wichtigen Lehrsatz konfrontiert worden, der seit knapp 200 Jahren Schüler quält und dem der Philosoph Immanuel Kant seine grosse Popularität verdankt:

«Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.»

Kant nannte dies in seiner intellektuellen Manier den ‹kategorischen Imperativ›. Seit dem 17. Jahrhundert bezeichnet man diesen Grundsatz der praktischen Ethik als ‹Goldene Regel›. Jesus Christus, korrekterweise Jmmanuel genannt, formulierte ihn knapp 2000 Jahre vorher wesentlich eingängiger, und die Lutherbibel liess ihn in Reimform zum deutschen Sprichwort werden:

«Was du nicht willst was man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu.»

Diese Regel formuliert eine wichtige gedankliche Grundhaltung des Denkens, Fühlens und Handelns: Die Auswirkungen auf die Betroffenen, deren Lage, Situation und Interessen sowie daraus resultierende, mögliche Folgen müssen demgemäss immer in das eigene Denken, Fühlen und Handeln mit einbezogen und dementsprechend geprüft, bewertet und ausgerichtet werden.

US-Präsident Barack Obama erklärte die Regel am 5. Februar 2009 beim traditionellen National Prayer Breakfast wie folgt:

«Es ist eine uralte, einfache, aber auch höchst herausfordernde Regel. Denn sie verlangt von jedem von uns ein Mass an Mitverantwortung für das Wohlergehen anderer, die wir nicht kennen, mit denen wir weder feiern noch in jedem Punkt einer Meinung sein mögen. Manchmal verlangt sie, uns mit bitteren Feinden zu versöhnen oder uralten Hass aufzulösen.»

Genau hier haben viele Klimakonferenz-Teilnehmer im Plenum der 193 vertretenen Länder versagt – auch Barack Obama. Statt die eigenen Interessen im Lichte des Gesamtwohls des Planeten Erde und dessen Abhängigkeit zu sehen – gemäss der Goldenen Regel – und wirksame, nachhaltige sowie verbindliche Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu vereinbaren, verkamen die Verhandlungen zu einer Pokerrunde, in der jeder Spieler seinen eigenen Einsatz bestimmt, sich nicht in die Karten schauen lässt und aussteigt, sobald der Jackpot verloren scheint.

Auf diese Weise lassen sich globale Probleme nicht lösen. Natürlich sind die Eigeninteressen der Länder zu beachten. Aber sie dürfen niemals über den Interessen der Weltgemeinschaft stehen, vor allem nicht dann, wenn es um das blanke Überleben aller geht. Statt gemäss der Goldenen Regel das eigene Handeln in bezug zum Nächsten, nämlich zu den anderen Nationen zu setzen, regiert die Staats-Egozentrik einiger Länder, die sich über alle anderen stellen und damit verantwortungslos alle ins Verderben stürzen.

Tim Sauven von Greenpeace hat ein treffendes Resümee gefunden: «Kopenhagen ist in der Nacht der Schauplatz eines Verbrechens gewesen, wo die Täter anschliessend zum Flugplatz flüchteten.»