Empörung

die Grundlage vieler untugendhafter Produkte des Bewusstseins

18 Jul 2009

Die Empörung ist ein Bewusstseinsprodukt, das vor allem dem Europäer, und im besonderen Fall dem deutschsprachigen Europäer zu eigen geworden ist. Das "Sich-Empören" umfasst dabei vielerlei Gebiete und reicht von der offensichtlich groben Empörung, wie beispielsweise der über das mutmassliche Fehlverhalten eines Mitmenschen, bis hin zu sehr feinen und kaum noch wahrnehmbaren Formen der Empörung, die sich nicht einmal äussern müssen in der Weise, dass sie nach aussen hin sichtbar und für die Umwelt erkennbar würden. Die feinsten Färbungen der Empörung scheinen sich sogar gänzlich vor dem Entdeckt-werden verstecken zu können. Dem Menschen ist nämlich das trennenende und auf sich selbst bezogene Bewusstsein derart stark und zur Gewohnheit geworden, dass er sich selbst und somit seinen Gedanken und Gefühlen gegenüber sehr unachtsam ist und einfach alles seinen freien Lauf lässt. Dies verunmöglicht es ihm, die sehr feinen, untugendhaften Strömungen seines Bewusstseins zu erfassen, geschweige denn sie zu erkennen und ihre Ursachen zu beheben.

Dabei wäre es wichtig, gerade diese Anverwandte der eigenen Überheblichkeit - die Empörung - zu erkennen, denn sie bildet die Grundlage vieler übler Wirkungen, die jedem Menschen zum Nachteil gereichen. Auch dem ungeschulten Bewusstsein ist es nämlich möglich, die groben und starken Färbungen der Empörung an sich selbst zu entdecken. Sie treten oft dann in Erscheinung, wenn das Aussehen, die Handlungen oder die zu Tage tretende Denkweise eines anderen Menschen usw. im Gegensatz zur eigenen Ansicht stehen und somit der eigenen Norm zuwider laufen. Der meist hinzukommende Mangel an Respekt, Achtung und Toleranz, in Kombination mit der bereits erwähnten Fahrlässigkeit und Achtlosigkeit gegenüber den eigenen Gedanken, verunmöglicht eine Überprüfung der eigenen Bewusstseinshaltung und nährt diese derart, dass die eigene Norm fälschlicherweise zum absoluten "Mass aller Dinge" erhoben wird. Dabei vergisst der Mensch, dass diese Norm, die er als Massband den Anderen umschnürt, lediglich für seine eigene Person Gültigkeit besitzt, gemäss seiner eigenen Erziehung, seiner eigenen ihn prägenden Umwelt und seiner ihm eigenen, gebildeten Denk- und Handlungsweise und deswegen nie bedenkenlos auf den Mitmenschen übertragbar ist. Aufgrund seiner genossenen Erziehung, seinen vielfältigen Erlebnissen und seinen vergangenen Erfahrungen lebt der Mensch in seiner "eigenen Welt", die er sich von Kindesbeinen an selbst zusammengereimt und aufgebaut hat, gestärkt von der selten an die Oberfläche tretenden, aber stets sublim vorhandenen Fehlüberzeugung, dass alle Menschen die gleichen Wahrnehmungen treffen würden, gemäss der für alle Menschen gleich erscheinenden Realität. Aus diesem Irrtum heraus richtig geschlussfolgert hiesse dies, dass alle Menschen gleich Denken, Fühlen und Handeln müssten, was offensichtlich und in Anbetracht der zahlreichen Kriegsschauplätze auf dieser Erde nicht der Fall sein kann. Im Gegenteil: So zahlreich der Mensch auf Erden und im gesamten Universum verteilt ist, so vielfältig, kontrovers und heterogen sind seine Ansichten, Meinungen, Denk- und Handlungsweisen.

Obwohl es also klar und offensichtlich erscheinen müsste, dass jeder Mensch aufgrund seines eigenen, individuellen Lebens einer ebenso individuellen Sichtweise seiner Umgebung unterliegen muss, führt es den Alltagsmenschen nicht direkt zur geläuterten Einsicht, dass es somit auch fehlerhaft sein muss, die eigene, beschränkte Norm über die des Nächsten zu stülpen - sei es auch nur gedanklich. Zwangsläufig falsch muss es dann auch sein, sich in überhebende Empörung zu ergehen, wenn der Mitmensch in einer Art und Weise denkt, fühlt und handelt, die einem selbst höchst zuwider erscheint. Es ist nämlich äusserst selten so, wie es dem in selbstbezogener Empörung Erwallenden erscheinen mag, dass er die Zusammenhänge der Situation, des Gedankens oder der Handlung des Mitmenschen, denen gegenüber er sich empört, sehr wohl kenne und somit durchaus in der Lage sei, ein besseres Urteil, eine bessere Handlung oder eine bessere gedankliche Grundlage zur Wirkung bringen zu können, als es der tatsächlich betroffenen Person möglich ist. Durch beides, einer still gehegten sowie einer offensichtlich nach Aussen getragenen Empörung, hebt sich der Mensch fälschlicherweise und in Verbindung mit einer untergründig schwelenden Verachtung gegenüber dem Nächsten "empor". Diese ethymologische Wurzel des Begriffs Empörung, nämlich das "sich Emporheben", führt ohne grossen Umweg zum direkten Verständnis dessen eigentlichen Wertes. Es findet nämlich ein "Sich-Selbst-Emporheben" bzw. ein "Sich-Überheben" statt in bezug auf die Meinung, Ansicht oder Handlung des Mitmenschen, was den Empörten mit anderen Worten dazu verleitet, seine eigene Person, sein eigenes Ego und seine eigene Hochwohlgeborenheit über Alle und über alles andere zu stellen.
Die Empörung gegenüber dem Nächsten fusst also grundlegend in einer Form der Überheblichkeit, Selbstüberschätzung, Respektlosigkeit und Achtlosigkeit, die allesamt auf dem niederen Beweggrund des "Besser-sein-wollens" beruhen.

In Verbindung mit einer gewissen Form der Feigheit, die leider den meisten Menschen eigen ist und die es ihnen nicht zulässt, kompromisslos zur eigenen Meinung und Ansicht zu stehen, wird der hohe Grad der entfalteten Empörung oft mit einem zynischen Humor unterlegt, der das eben empört Geäusserte schnell wieder relativieren und dem Nächsten gegenüber abschwächen soll. Im gleichen Handstreich wertet sich der im Mittelpunkt stehende als scheinbar äusserst intelligent auf. Derart verlaufende Verhaltensmuster auf Stammtischniveau lassen sich alltäglich und allgegenwärtig in der freien Wildbahn menschlicher Zivilisation beobachten.

Erschwerend hinzu kommt die üble Gewohnheit des Menschen, sich immerzu und oftmals zwanghaft in fremde Händel einmischen zu müssen - nicht selten aufgrund einer Empörung, die in ihm erst den Zwang hervorruft, den "unwissenden" Nächsten gemäss der eigenen Art und dem eigenen Wesen unmissverständlich zu korrigieren. Je nach Ausprägung dieser Untugend geschieht dies entweder rein gedanklich, so dass sich die betreffende Person ausschliesslich bewusstseinsmässig damit beschäftigt, die Belange des Nächsten "besser" und "richtig" in die Hand zu nehmen, oder in gröberen Fällen auch mit Rat und Tat, so dass der arme Mitmensch mit der Weisheit letzten Schluss’ beharkt wird, ohne dass dieser überhaupt an eine Einholung des "helfenden" Rates dachte. Diese vorschnellen Eingriffe in die individuellen Belange eines anderen Menschen gehen einher mit der respektlosen Meinung, man selbst wisse um einiges besser, wie der Hase in Wahrheit zu laufen habe. Interessanterweise beziehen sich diese unangebrachten Einmischungen meist auf Themen und Belange, die selbst der hastig Eingreifende nicht oder nur ansatzweise verstanden hat, denn sonst würde er sich nicht derart empören können, dass es in ihm den Zwang zur Korrektur des scheinbaren Fehlverhaltens hervorriefe. Stattdessen würde er den Nächsten in gleichmütiger Gelassenheit betrachten und dessen Friede und Freiheit durch ruhige Unterlassung wahren - immer voraus gesetzt, es handelt sich nicht um eine lebensschädliche oder gar lebensbedrohliche Situation.

Es existiert nämlich ebenso die natürliche und wahrheitsgemässe Form einer notwendigen Empörung, die an und für sich nicht mehr Empörung genannt werden kann, sondern als "neutrale Anstossnahme" bezeichnet werden müsste. Sie tritt dann zu Tage, wenn der Mensch auf Dinge aufmerksam wird, die schöpfungs- und naturwidrig sind und damit das eigene Gewissen bzw. den eigenen Sinn für ein ethisches, moralisches und sittliches Denken, Fühlen und Verhalten berühren. Diese Form der Empörung führt allerdings nicht zu den bereits erwähnten Negativerscheinungen wie Selbstüberwertung, Überheblichkeit und Respektlosigkeit, vorausgesetzt, dass bereits ein gewisses Mass an Liebe gebildet und geformt wurde, das in der entsprechenden Situation als Mitgefühl dem Nächsten gegenüber zur Wirkung gebracht werden kann. Ein Mitfühlen in die Situation des Nächsten könnte beispielsweise bedeuten, dass man sich selbst an dessen Stelle denkt und fühlt und dabei den Wunsch auf die eigene, individuelle Freiheit selbst empfinden kann. Durch die sich plötzlich einstellende Betroffenheit wird man leichter vom vorschnellen Eingriff in die intime Privatsspäre des Nächsten absehen. Dadurch gewährt man dem Mitmensch den nötigen Freiraum zur persönlichen Entfaltung, obwohl man selbst vielleicht dennoch einen leichten Hauch der Anstossnahme zu spüren vermag. Die Ursachen dieser zuletzt genannten Gestalt der Empörung liegen dann nicht im Drang zur persönlichen Selbsterhöhung, sondern sind in der eigenen Sensibilität zu finden, in bezug auf ein korrektes ethisches, sittliches und moralisches Verhalten.

Der einsichtige Kampf gegen die Untugend der Empörung sollte zunächst mit den Waffen der Achtsamkeit geführt werden. Sie offenbart dem Menschen einerseits die Zusammenhänge in bezug auf seine Untugenden und zum anderen bewahrt sie ihn auch vor dessen unangenehmen Folgen, wie den bereits erwähnten, vorschnellen, unüberlegten und triebhaften Eingriffen in die Privatsphäre der Mitmenschen. Achtsamkeit führt in den Bereich des Lassens und Betrachtens und verschafft dem Menschen durch reines und wirklichkeitsgemässes Beobachten die notwendige Zeit, seine Gedanken und Gefühle zu analysieren, bevor er sie überstürzt in die Welt setzt. Gleichzeitig verfeinert Achtsamkeit die Wahrnehmung derart, dass der Mensch die in ihm aufsteigende Empörung immer früher festzustellen vermag und vorbeugend dazu die richtigen Gedanken und Taten anbringen kann. Die gleichzeitige und ernsthafte Einübung von Toleranz und Respekt, von Achtung und Ehrfurcht werden den Menschen dann mit Sicherheit emporheben - dann aber im schöpferisch-natürlichen Sinne, nämlich in bezug auf seine bewusstseinsmässige Entwicklung und seinem guten Stande im Sinne einer korrekten und fortschrittlich-wahrheitsliebenden Lebensweise.