Enttäuschung

Ent-täuschung als Grundlage der Erkenntnis

18 Jul 2009

Bis zur heutigen Zeit sind sehr viele Begriffswerte bis zur Unkenntlichkeit verfälscht worden, so dass ihr eigentlicher Wert, den diese Begriffe beinhalten und zum Ausdruck bringen, nicht im mindesten mehr mit den heute gebräuchlichen Werten übereinstimmen. Für den Begriff Enttäuschung trifft dies in besonderem Masse zu, denn die ursprüngliche Bedeutung birgt in sich den genau gegenteiligen Wert des heute gebräuchlichen.

Zerlegt man den Begriff Enttäuschung in seine zwei Teile, dann wird die eigentliche Bedeutung des Wertes offensichtlich: Ent-täuschung.
Eine Täuschung ist immer dann gegeben, wenn der Mensch sich durch seine Gedankenwelt eine irreale Vorstellung eines Objektes macht, die mit der Wahrheit, also mit der tatsächlich gegebenen Tatsache, nicht übereinstimmt. Egal ob es bei diesem Objekt um eine Sache, eine Situation oder um einen Menschen geht: Immer ist es die Gedankenwelt des Menschen, die Vorstellungen und Erwartungshaltungen im Inneren als Ursache erzeugt und als Anschauung oder Einstellung im Äusseren zur Wirkung bringt.

Unterläuft dem Menschen ein Fehler in der gedanklichen Haltung einer Sache gegenüber, begeht er also eine Fehleinschätzung aufgrund von Unkenntnis, Unwissenheit, Vertrauen, Glauben, Wünschen etc., dann erzeugt er in sich, den falschen Gedanken entsprechend, ein Trugbild, das im Widerspruch zur tatsächlichen, wahren Gegebenheit resp. der wahrlichen Tatsache steht.

Als Ent-täuschung wird der Prozess beschrieben, der den Menschen zwingt - meist durch äussere Einflüsse -, das selbsterzeugte Trugbild zu korrigieren bzw. ganz zu revidieren oder es gar völlig zu zerstören, um sich der Wahrheit zuzuwenden und eine Tatsachenerkennung in Wahrheit zu tätigen. Während der Ent-täuschung entsteht also eine Front, an der zwei unterschiedliche Kräfte gewaltsam aufeinandertreffen: Die eigene Vorstellung und die Wahrheit. Oftmals ist dieser Prozess recht schmerzhaft, denn die eigene, gedankliche Falschvorstellung wird urplötzlich und meist ohne Vorwarnung mit der Wahrheit konfrontiert. Je länger diese gedankliche Falschvorstellung aufgebaut und anschliessend «gehegt und gepflegt» wurde, desto psychisch-belastender wirkt die Ent-täuschung, denn längst hat sich das unwahre Trugbild im Bewusstsein festgesetzt und entsprechend falsche Gefühle zur Wirkung gebracht, die ihrerseits erneut falsche Gedanken erzeugten und das Trugbild weiter ausbauten. So stellt einem die Wahrheit vor «vollendete Tatsachen» und lässt keinen Spielraum und keine angenehmen Hintertürchen mehr offen für eigene, falsche Ansichten.

Dies ist der Grund, warum in der heutigen Zeit eine Ent-täuschung rein negativ bewertet wird: als ein nicht-wünschenswerter, äusserst unangenehmer und stets zu vermeidender Zustand.
Eine Ent-täuschung ist in ihrer eigentlichen Bedeutung durchaus positiv zu bewerten, denn erst sie zeigt dem Menschen in letzter Konsequenz die effective Wahrheit auf, nach der sich der Mensch zu richten vermag, wenn er dazu auch gewillt ist. Ent-täuschung ist also ein andauernder, innerer Prozess, der einer inneren Klärung gleichkommt und somit evolutiv und im Sinne natürlich-schöpferischer Gesetzmässigkeiten funktioniert. Dabei muss eine Ent-täuschung nicht zwangsläufig immer durch äussere Einflüsse erzwungen werden, denn dies stellt erst die letzte Konsequenz dar, wenn der Mensch seine falsche gedankliche Haltung nicht bereits selbst zuvor korrigiert hat. Vielmehr muss der Mensch lernen, sich selbst stets zu enttäuschen, was bedeutet, dass er sich über seine eigenen Gedanken klar werden muss, diese kontrolliert und durch Unwahrheit zur Wirkung gekommene, gedankliche Fehleinschätzungen stets selbständig und in Ehrlichkeit korrigiert - mag es auch noch so schmerzhaft sein.