Genug ist genug

"Gegen das Vergessen" kritisch betrachtet (über die deutsche Vergangenheit)

18 Jul 2009

Es ist allgemein bekannt, welch intensive Beziehung Täter und Opfer oftmals verbindet. Weniger bekannt ist, dass diese verhängnisvolle Bindung oftmals weit über die ihr zugrunde liegenden, gegenwärtigen Geschehnisse hinauszuführen vermag.
Was für die hörige Beziehung von einzelnen Individuen gilt, ist für Kollektive, wie das einer Gruppe von Menschen, das eines Volkes oder gar das einer ganzen Menschheit nicht anders. Wie lange diese abhängige Bindung zu überdauern vermag, zeigt das allgegenwärtige, leicht köchelnd gehaltene Thema der Holocaust-Geschichte Deutschlands, historisch korrekter: Europas.

Mit morbider Detailtreue wird die grausame Geschichte des Dritten Reiches, mit dessen im eigentlichen Sinne "wahnsinnigen" Bluttaten und übelkeitserregenden Abschlachtungen, dem Durchschnittsweltbürger vor Augen geführt - tagtäglich. Zur Argumentation, warum sich ein an der Gegenwart und Zukunft interessierter Mensch dieser Malträtur immer und immer wieder auszusetzen hat, kann man erfahren, dass es dem Wohle des Volkes und der Menschheit diene, wenn diese Geschichte niemals ins Vergessen gedrängt werde und nur das Pflegen der Schuldfrage, die eigentlich eine Schuldantwort ist, den Menschen vor neuer Schuld bewahre.

So werden tagein-tagaus Millionen von Menschen, ob jung oder alt, ob in der Schule vor der Tafel oder zu Hause am Bildschirm, mit der Kollektivschuld des Naziregimes beharkt.
Deutlicher kann das Bild einer fatalen Täter-Opfer-Beziehung wohl nicht gezeichnet werden. Der mahnende Zeigefinger wird so weit in den Himmel gehoben, dass die Hand, an die er unweigerlich gebunden ist, nicht mehr zu sinnvolleren Dingen genutzt werden kann.

Jeder Autor, der sich mit dem Missstand der Verhältnismässigkeit von Schuld und deren Verarbeitung befasst, wird oft und gerne vorschnell in die Ecke derjenigen gedacht, welche die Schuld an sich zu verteidigen suchen und somit Rechtsradikalismus, Antisemitismus und jede andere Form der Menschen-Diskriminierung zumindest zu dulden scheinen. Die Besorgnis darüber, ob eine sinnvolle Vergangenheitsbewältigung durch gesteuert erzeugte Vergangenheitsgier stattfinden kann, rechtfertigt allerdings nicht die Vergangenheit selbst. Man könnte behaupten, all diejenigen, welche das Fass der "Gehirnwäsche gegen Rechts" als voll bzw. als bereits am Überlaufen betrachten, sollen mit dem schnellen Vorwurf der geheimen, gedanklichen Komplizenschaft mundtot gemacht werden.

Hier wird nicht der Versuch unternommen, durch das Anzweifeln der Art und Weise der scheinbaren Vergangenheitsbewältigung die grausame Geschichte des Hitler-Regimes zu leugnen oder auch nur abzuschwächen.
Im Gegenteil: Durch das Aufzeigen der törichten Mangelhaftigkeit, mit der heute gegen ein "Rechts-Bewusstsein" gekämpft wird, soll die Bereitschaft zur Begehung eines besseren, nämlich funktionierenden Weges gefördert werden.

Gemeint ist die bereits erwähnte Gehirnwäsche, der sich jeder Mensch zu unterziehen hat, wenn er sich nicht völlig aus der Zivilisation zurückziehen will, nämlich all die Aktionen und Demonstrationen gegen Antisemitismus, Radikalismus und Neonazismus, wie z.B. Ansprachen, Mahnungen, Gedenken, Jahresfeiern und Konzerte etc. oder auch in Form von Büchern, Filmen, Computerspielen, Zeitungen, Statuen, Bildnissen, Münzen usw. usf. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Politiker, Wirtschaftsboss oder ein anderweitig in der Öffentlichkeit Stehender die Schuldfrage für alle anderen erneut "klärt".
Diese kollektiv angewandte Gebetsmühlentechnik bringt speziell den Rechtsradikalismus und Antisemitismus, aber auch jede andere Form der Menschenverachtung erneut zur braunen Blüte.

Würde die Theorie der Schuldverarbeitung durch ständige Wiederkäuerei funktionieren, dann müssten Massenmörder durch den täglichen Konsum von Horrorfilmen zur Einsicht ihres falschen Tuns gelangen, da sie ja beständig mit ihrer Vergangenheit konfrontiert würden. Erweitert man das Beispiel auf die Realität, die wir tagtäglich erleben, dann müsste man diese Horrorfilme auch unseren Kindern zeigen und zwar am besten bereits in der Schule, natürlich nicht ohne den erwähnten, zur Mahnung erhobenen Zeigefinger, damit sie gleich einmal wüssten, was nicht rechtens wäre und was sie niemals tun dürften. Damit aus ihnen keine Triebtäter würden, müsste man sich zur anschaulichen Vorführung auch pornographischen Materials bedienen - vielleicht in einer eigenen Unterrichtsstunde...

Jedermann weiss, dass das Erlernen einer fremde Sprache am besten dadurch zu fördern ist und diese nur dadurch in "Fleisch und Blut" übergeht, indem man sich ein paar Jahre im Sprachbereich des betreffenden fremden Landes aufhält, in dem die zu erlernende Sprache gesprochen wird. Man umgibt sich mit Menschen, die einem ständig mit dem zu Erlernenden konfrontieren - in diesem Fall mit der Sprache. Man setzt sich einer selbst erzeugten Zwangssituation aus: Entweder man spricht fremdländisch, oder man schweigt. Es gibt kein sinnvolles Ausweichen in die eigene Muttersprache, wie dies in der heimatlichen Schule möglich ist. Der Mensch lernt dadurch schneller und effektiver.

Das tut er auch, wenn es um weniger förderliche Dinge geht, wie Gewalt, Diskriminierung, Verfeindung, Hass und alle anderen Unwerte, denn das Lernprinzip ist ja das gleiche. Je mehr sich der Mensch mit diesen Dingen befasst, sich mit ihnen also umgibt und sich ihnen freiwillig aussetzt, desto schneller gehen ihm diese in Fleisch und Blut über. Er lernt schnell - ob bewusst oder unbewusst.

Kürzlich rasten zwei Jugendliche mit Schnellfeuergewehren in eine amerikanische Schule [Zusatz Internetversion: inzwischen auch in Erfurt/Deutschland] und ballerten wild um sich. In diesem Blutbad starben viele Menschen, darunter meist Kinder. Nachdem die Täter gefasst waren, fragte man sie nach dem Motiv ihrer Tat. Sie gaben an, ein gleichgeartetes Computerspiel einmal in der Realität ausprobiert haben zu wollen...
So dramatisch diese Situation ist, und wie schnell man diese Jugendliche verurteilen könnte, sie haben prinzipiell nichts weiter getan als - gelernt.

Jeder Erziehende würde einem wohl (mit Recht) des Hauses verweisen, machte man ernsthaft den Vorschlag, Gewaltsendungen im Fernsehen bereits am Vormittag ausstrahlen zu lassen, damit Kinder frühmöglichst sehen könnten, was sie unter keinen Umständen erlernen dürften.
Geht es allerdings um historische Erziehung, macht man eine grosse Ausnahme. Da sollen die Kleinen und die Grossen soviel Blut, Gewalt und Schande wie nur möglich konsumieren, denn hier wird angeblich nicht gelernt, sondern "verarbeitet" und "bewältigt".

Übersehen wird dabei die eigentliche Funktionsweise der Psyche, die in sich lediglich die Gedanken und Gefühle des Menschen ordnet, formt und verwaltet, egal aus welchem Grund der betreffende Mensch die besagten Gedanken und Gefühle pflegt. Deswegen hat auch das theoretische Hirngespinst der angeblichen Vergangenheitsbewältigung keinen Einfluss auf die Art und Weise, wie die Psyche des Menschen funktioniert. Derart abartige und unlogische Theorien werden nicht verworfen, sondern als gedankliche und gefühlsmässige Kraft voll zur Kenntnis genommen und einfach in der besagten Form, Art und Weise geordnet und geformt, in der der Mensch sich gedanklich und gefühlsmässig bewegt. Selbst wenn Gewalt, Hass, Krieg, Abschlachtungen und Hinrichtungen usw. unter dem zwielichtigen oder vielleicht gut gemeinten Deckmantel der Bewältigung der Übel konsumiert werden, schaltet und waltet die Psyche trotzdem immer in der ihr gewohnten Form. Aus Gedanken werden Gefühle erzeugt, durch die die Psyche beeinflusst und geformt wird - positiv oder negativ, je nach Art der Gedanken und Gefühle. Diese wiederum bringen letztendlich die Handlung zur Wirkung. Je nach dem Grad der Intensität, mit dem sich der Mensch einem Thema aussetzt, kreiert er in sich dementsprechend intensive oder weniger intensive Gedanken und Gefühle, woraus sich wiederum entsprechend gewichtete Handlungen ergeben.
Konsumiert der Mensch in extremer und unausgeglichener Form die Themen Gewalt, Rassenhass, Antisemitismus und Neonazismus usw., aus welchen ideologischen Gründen auch immer, dann kreiert er in sich dementsprechend extreme Gedanken und Gefühle, deren Wirkung sich in der ebenfalls gleichgerichteten, extremen Handlung manifestiert, bis hin zur gelebten Gewalt, die in sich ebenso Mord und Totschlag birgt, wie auch aller ausgeartete Extremismus linker oder rechter Form.

Es ist ein Teufelskreis, in dem sich der Mensch im Wahn seiner Vergangenheitsbewältigung bewegt. Durch das ständige Wachhalten all der vergangenen Übel, züchtet er dieselben erneut herbei. Alles Fehl, aus dem gelernt werden sollte, wird dazu missbraucht, um neues Fehl zu verursachen, das sich in Fremden- und Rassenhass, in Antisemitismus, Neonazismus, Mord und Totschlag, Gewalt und sonstig vielfältiger Ausartung manifestiert.

Die unverständliche Intensität, mit der der Mensch seine Vergangenheit zu bewältigen versucht, legt den Verdacht nahe, er denke, es gäbe keine gegenwärtigen Probleme, um die es sich zu kümmern lohne. Weit gefehlt.