Kein geringes Übel: Politische Parteien

Realdemokratie ohne Parteienwesen

07 Mar 2011

Die gängigen ‹demokratischen› Politik-Systeme basieren alle auf der Grundlage eines Parteiensystems. Politische Strömungen, Meinungen und Ausrichtungen werden in politischen Lagern gesammelt und als Partei-Meinung offiziell vertreten. Die grundlegende Idee hierbei ist, dass es aus organisatorischen Gründen unmöglich sei, die Meinung eines jeden Bürgers oder Stimmberechtigten direkt sammeln und vertreten zu können. Deswegen soll sich der Wähler für eine Partei entscheiden, die seiner eigenen Meinung am nächsten oder zumindest nahe kommt. In den Schulen wird dieses Prinzip bis heute als die ‹Wahl des geringsten Übels› gelehrt, weil man nicht ­erwarten könne, dass eine Partei zu hundert Prozent der eigenen Meinung entspreche. Deswegen komme es darauf an, jene Partei zu wählen, mit der man die grössten Übereinstimmungen zu den eigenen Ansichten finde.
Was theoretisch plausibel klingen mag, versagt in der Praxis leider auf der ganzen Linie – und das aus mehreren Gründen:

Die Werbetrommel der Parteien
Statt die Stimmberechtigten in neutraler Form über das Parteiprogramm zu informieren, werden sie in Form von Werbung der Manipulation und Beeinflussung ausgesetzt. Im Streit mit anderen Parteien, Interessenverbänden und Lobbys usw. über den zu begehenden politischen Weg, werden die eigenen Vorzüge hinausgeschrieen und jene anderer Parteien zum Teil übel diskreditiert, ohne sich dabei um die gebotene Neutralität und damit um Ehrlichkeit zu bemühen. Die Bürgerinnen und Bürger werden dadurch in der Möglichkeit behindert, sich in ernster und neutraler Weise über die eigentlich wichtigen Sachinhalte zu informieren. Es ist dabei nicht von Belang, ob sich eine Partei einen besonders populistischen oder intellektuellen Anstrich verpasst. Das Gebot der Neutralität wird durch Partei-Werbung in jedem Fall verletzt. Zudem verliert der Mensch bald seinen demokratischen Beteiligungswillen, wenn er das Balz- und Streitgehabe der Parteien irgendwann als das durchschaut, was sie in Wahrheit sind, nämlich ein Kampf um Macht und Ämter. Sich dabei für das ‹geringste Übel› zu entscheiden fällt schwer, denn in der primitiven Art und Weise des Wahlkampfs stehen sich die Parteien in nichts nach.

Parteien und ihre Abweichler
Natürlich herrscht auch innerhalb einer Partei nicht immer Einigkeit über eine politische Sachfrage. Das wäre auch sonderbar und unnatürlich, denn jeder Mensch hat logischerweise immer eine eigene Ansicht und Meinung. Eine gängige Praxis der Parteien ist es, ‹Abweichler› mit anderer Meinung entweder durch Druck und Überredung wieder auf die Parteilinie zu bringen oder sie derart zu mobben, dass sie die Partei früher oder später verlassen. Beides ist in keiner Weise demokratisch. Abweichler sind aber für jede Partei ein ernsthaftes Problem, denn in ihrem Wettbewerb um Macht, also die Möglichkeit zu regieren, muss sie besonders geschlossen und mit einheitlicher Meinung vor dem Wähler stehen. Er hat ja nur eine Stimme, die er einer Partei geben kann. Deswegen findet innerhalb einer Partei ständig eine Art Meinungsfindungsprozess statt – eine Filterung, die nur von den Meinungen und Ansichten überlebt wird, mit denen später auch Wahlen gewonnen werden können. Wähler und Wählerinnen bekommen letztlich also eine Art vorgekautes und weichgespültes Programm präsentiert, das die innerparteilichen Kämpfe bereits überlebt hat. Wenig populäre Meinungen fallen durch dieses Parteiraster hindurch und gehen daher selten in ein Parteiprogramm ein. Es findet eine effektive Bevormundung des Stimmvolkes statt, das freiheitlich und unbeeinflusst auch Aussenseiter-Meinungen für mehrheitsfähig befinden könnte – wenn es dazu befragt würde, was natürlich nicht der Fall ist. Der Teufelskreis schliesst sich mit der populären Falsch-Argumentation, dass sich ja jeder selbst an Parteiarbeit beteiligen und damit selbst demokratisch aktiv werden könne. Das ist natürlich unsinnig und unrealistisch, denn die Bevormundung würde gemäss dieser Argumentation erst dann beendet, wenn jeder Wahlberechtigte gleichzeitig parteipolitisch aktiv würde …

Der ‹Wille des Volkes›
Demokratie wird in fast allen Staats-Systemen noch weiter verwässert, indem gewählte Parteien, die nicht die absolute Mehrheit erlangen, Bündnisse mit anderen Parteien eingehen können, um zusammen doch noch eine Mehrheitsregierung zu bilden: Die Koalition. Diese wird auf den ‹Willen des Volkes› zurückgeführt, der eine Koalition ‹gewollt› habe, weil er einer einzigen Partei die Mehrheit ‹verweigerte›. Es ist ein Irrwitz, dem Volk einen Kollektivwillen zu unterstellen, der durch individuelle ‹Wahlkreuzchen› entstanden sein soll. Erst recht, wenn man bedenkt, dass die Art der Koalition, also welche Partei mit welcher die Regierung bildet, nicht vom Volk, sondern von den Parteien selbst bestimmt wird. Und wie bereits beschrieben, bewegt sich der ‹Wille des Volkes› sowieso nur in den engen Grenzen populärer und bevormundender Parteiprogramme.
Aussenseiter-Parteien, die von einigen Stimmberechtigten als ‹geringstes Übel› empfunden werden, können in einigen Ländern durch eine weitere wirksame Massnahme ausgegrenzt werden: Die Prozenthürden. So ist es beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland Gesetz, dass Parteien, die unter 5% der Stimmen erlangt haben, keinen Einzug ins Parlament halten können. Dies ist eine durch die Erfahrungen der Weimarer Republik bedingte Vorsichtsmassnahme, die verhindern soll, dass im Parlament eine zu starke Zersplitterung der Lager entsteht, die eine effektive Mehrheits- und damit Regierungsfähigkeit verhindern könnte (und damit Despoten in die Hände spielte, wie es bei Adolf Hitler der Fall war).
Leider sind Prozenthürden der falsche Ansatz, denn sie wirken als ein weiterer Weichspülgang der Demokratie. Statt Mittel und Wege zu finden, Minderheitsmeinungen geregelt und ordentlich politisch einzubinden, müssen sie gemäss dem ‹Willen des Volkes› draussen bleiben und ihr Parteiprogramm weiter verwässern, bis sie eines Tages von genügend Stimmen des Mittelmasses ins Parlament getragen werden. Das führt übrigens auch dazu, dass sich politische Extreme ausserparlamentarisch austoben können und dadurch wesentlich weniger kontrollierbar werden.

Parteien und Ämter
Ein weiteres grosses Übel ist die Entscheidungskompetenz, die politische Führungskräfte innehaben. Statt das Volk und dessen Meinung neutral und direkt zu vertreten, sind Politiker in Führungspositionen ‹Entscheider›, die gemäss der Parteilinie eigene Programme, Ideen und Meinungen anstreben und durchsetzen. Man verfällt hier dem Irrglauben, dass die Wahl durch das Volk ein Blankoscheck sei, den man erst bei der nächsten Wahl einlösen müsse. Einmal gewählt, könne man selbst entscheiden, wie der Hase läuft.
Die Inhaber der Führungspositionen werden in vielen Ländern nicht einmal direkt vom Volk gewählt, sondern von einer Partei resp. einer Koalition, die im Parlament die Mehrheit bildet. Auch hier dient der Stimmzettel des Bürgers zur Ausrede, man hätte durch ihn den ‹Auftrag› erhalten, diesen oder jenen in ein hohes Amt oder in eine Führungsposition zu wählen. Dieser Jemand bildet dann häufig sein Kabinett und verteilt heiter Ministerposten auf – man ahnt es schon, wieder nicht demokratische Weise. Dies führt zu einer völligen Entdemokratisierung, die das Volk von den Politikern und den Parteien abkoppelt. Die Folge sind willkürliche Entscheidungen auf höchster Ebene, die vom Volk nur noch kopfschüttelnd bestaunt werden und oft – in diesem System nicht zu unrecht – in der Meinung münden, man könne selbst sowieso nichts ändern.

Pseudodemokratie des Mittelmasses
Alle genannten Fakten führen zu einer Pseudodemokratie des Mittelmasses. Alles in allem kann man heutzutage in keinem Land der Erde von einer echten Demokratie sprechen, denn die Parteien an sich, die Art, wie sie für sich werben, wie sie Verbindungen eingehen und wie sie letztendlich nicht direkt vom Volk gewählte Personen in die relevanten Ämter hieven: Das alles ist in höchstem Masse undemokratisch beziehungsweise pseudodemokratisch. Demokratie wird den Bürgerinnen und Bürgern auf subtile Weise vorgegaukelt, ohne sie auf Basis neutraler, volksbestimmter Weise in die Tat umzusetzen.
Eine echte Demokratie, eine Realdemokratie, muss immer und direkt vom Volk ausgehen, ohne dass sich Parteien voreingenommen und werbewirksam in die Meinungsbildung einmischen und lauthals ‹Stimmung machen›. Volksvertreter haben tatsächliche Vertreter des Volkes und ohne eigene Entscheidungskompetenz zu sein. Nur dadurch, dass die grösstmögliche Neutralität gebildet wird und dauerhaft gewahrt bleibt, wird es dereinst möglich sein, eine nachhaltige, friedliche und fortschrittliche Politik zu betreiben.