Das Thema ‹Terror› und dessen Gefahren sind heute allgegenwärtig und in aller Munde. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendeine Nachrichtensendung, ein Radioprogramm oder eine Website von aufregenden ‹Neuigkeiten› in bezug auf Terror bzw. Terrorismus zu berichten vermag. Spezialsendungen, Liveschaltungen, Augenzeugen-Interviews, Hintergrundberichte: Noch nie waren wir Bürger so gut und zeitnah informiert wie heute – zumindest suggeriert uns das die neue, bunte Medienwelt.
Das hat auch seine Schattenseiten: Medien sind starke Beeinflusser unserer Meinung geworden. Sie verändern unser Verhalten, indem sie uns glauben machen, über ein Fakt, einen Tatbestand oder eine Situation neutral informiert zu sein. Nur selten merken wir, wie subtil gewisse Formulierungen und Darstellungen gewählt sind und wie diskret begonnen wird, damit unser Denken, Fühlen und Handeln zu steuern. Vor allem Themen, die nicht in ein klares Schwarz-Weiss- oder Gut-Böse-Muster einzuordnen sind und eine wesentlich differenziertere Auseinandersetzung verdienen, geraten dabei häufig zu kurz, sei es aus Mangel an Platz, Sendezeit oder Fachverstand.
Es ist interessant zu beobachten, wie uns die ‹allgegenwärtige Terrorgefahr› längst steuert, die uns Politik und Medien spätestens seit dem 11. September 2001 gebetsmühlenartig vermitteln – und zwar ohne dass es uns bewusst würde. Ein Selbstversuch: Stellen Sie für die Sperrmüllsammlung einen alten Blechwecker zusammen mit einem ausgedienten Koffer und ein paar bunten Kabeln auf die Strasse. Sie haben gute Chancen, in ihrer Nachbarschaft Panik auszulösen. So erging es zumindest einem deutschen Staatsbürger im Ruhrgebiet, der von Behördenseite ermahnt wurde, beim Sperrmüll darauf zu achten, dass alle Behältnisse geöffnet sind, damit «beim Anblick verschlossener Koffer oder Reisetaschen kein flaues Gefühl entsteht». Ferner solle er davon Abstand nehmen, kaputte Wecker oder elektrische Geräte «derart vor die Tür zu stellen, dass ein falscher Eindruck entstehen könnte» (siehe: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26051/1.html).
Hier beginnt der Teufelskreis: Der einzelne Bürger wird durch Ratschläge wie diese dazu angestiftet, sich immer mehr in ein paranoides Denken hineinzusteigern, um nicht selbst mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten oder eine Panik zu verursachen, ohne dass er das überhaupt beabsichtigt. Nun mag man argumentieren, dass ‹besondere› Zeiten eben auch besondere Massnahmen erfordern und der Herr im obigen Vorfall offensichtlich naiv gehandelt habe. Mag sein; aber wo zieht man als ‹freier Bürger› die Grenze zwischen ‹unbefangen› und ‹fahrlässig naiv›? Und vor allem: Wer zieht sie?
Im Vergleich zu den klaren Feindbildern, die die älteren Jahrgänge aus dem Zweiten Weltkrieg resp. der Nachkriegszeit noch kannten, ist die Feinddefinition beim Terrorismus auch wesentlich schwieriger. Es sei hinzugefügt, dass – selbst wenn der amerikanische Volksglaube anderes lehrt – Rauschebart und Turban noch lange keinen Terroristen ausmachen (USA-Versuche haben gezeigt, dass Vollbartträger mit Turban vor Atomkraftwerken verhaftet wurden, während ‹normale Menschen› an den Werksführungen teilnehmen konnten). Terrorist kann jedermann sein. Diese Tatsache wird von Medien und Politik geschickt dazu genutzt, alles und jeden unter Generalverdacht zu stellen: Auch Sie und mich. Der schleichende Verlust unserer Privatsphäre und das Eindringen von Kontrollmechanismen in unseren Alltag gehen damit einher – zum scheinbaren Wohle aller. Das bedeutet auch, dass sich der einzelne vor jeder Handlung stets überlegen muss, ob diese beim Nächsten zu Terror-Assoziationen führen könnte. Das ist das Ende der freien Entscheidung. An deren Stelle ist die vollständige, von Angst und Paranoia geprägte Fremdbestimmung getreten, die die Freiheit des einzelnen deutlich beschneidet und mit jeder weiteren Entscheidung noch mehr reduziert.
Wie weit dieser Teufelskreis sich zu drehen vermag, zeigt folgende, tatsächliche Begebenheit: Die ‹World Hash House Harriers›, eine Gruppe harmloser Outdoor-Begeisterter, veranstaltete in den USA eine Schnitzeljagd, zu der man natürlich eine Fährte legen musste, um die entsprechenden Stationen finden zu können. Statt für Kreide hatte man sich zur Kennzeichnung der Spur für biologisch abbaubares Mehl entschieden und auch eine Markierung auf einem Parkplatz eines Möbelhauses angebracht. Die Schnitzeljagd endete damit nicht beim gemütlichen Biertrinken, sondern im Gefängnis, denn das Mehl wurde als biochemischer Angriff gewertet, das Möbelhaus evakuiert und ein Grosseinsatz der örtlichen Polizei ausgelöst. Der gesunde Menschenverstand wurde hier vom Terrorgedanken erfolgreich in Schach gehalten. Wie können zwei nicht einmal Handschuhe tragende Personen Biowaffen aus einem Plastiksäckchen verteilen, ohne gesundheitliche Schäden zu erleiden? Warum wurden die noch anwesenden ‹Verbrecher› nicht zuerst befragt?
Diese leider wahre Begebenheit zeigt deutlich: Selbst wenn man nichts zu verbergen hat, oder sich sicher wähnt, weil man sich ja nichts hat zu Schulden kommen lassen: In einem Staat, in dem der Bürger unter Terror-Generalverdacht gestellt wird, kann es jeden treffen. Deswegen gibt es nur einen Ausweg aus der Misere: Sich nicht terrorisieren lassen.
Weder Politik, noch Medien, Polizei, Behördenangestellte (wie im obigen Beispiel) oder einfacher Bürger – niemand soll sich von vagen Ängsten leiten und das freie Denken, Fühlen und Handeln von düsteren Visionen und fremdbestimmten Vermutungen abhängig machen lassen. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Der Bürger soll dort mit Vernunft und Verstand geschützt werden, wo es akut und dringlich ist, aber es darf keine Ideologie aktiver Knebelung im Namen der Freiheit geben. Ein Land, in dem sich niemand terrorisieren lässt, ist auch nicht zu terrorisieren.